EIN HAUCH SOUVERÄNITÄT

Im Januar 1871 wurde ein Staat geboren, den es niemals geben durfte. Ein Sieg über den französischen Erzfeind und ein Eiserner Kanzler vereinigte eine bunte Haribo-Mischung von Fürstentümern, deren einziger gemeinsamer Nenner die Teutsche Sprache und der Christliche Glaube waren.

Wenn man – von innen wie von aussen – die Zustände im heutigen Deutschland beklagt, ist die Erinnerung hilfreich, dass bei unserer Reichsgründung, die Amerikaner schon auf rund 100 Jahre demokratischer Tradition zurückblicken konnten. Frankreich wurde eigenständiger Staat im 9. Jahrh. und England im 10. Jahrh.; mit den Keimen einer Bürgerbeteiligung durch die Magna Carta 1215.

Gesellschaftlich war das Ausland Taktgeber, mit unterschiedlichem Grade der Durchdringung. Französischer Geist und Kultur und englische Ökonomie dominierten die Stände und das Bürgertum, selbst die Revolutionen kamen jeweils vom Westen des Rheinufers. Während in Belgien, Holland und Polen Strukturen sich zu ändern begannen, verlief sich der Eifer hier rasch im Durcheinander rivalisierender Schichten und Kleinstaaten der deutschen Lande, die jeglichen gemeinsamen Geist erstickten.

Der erste eigene Versuch einer Einigung durch das Hambacher Fest (1832), scheiterte an unterschiedlichen Interessen einer breiten Bevölkerung. Heinrich Heine beklagte das magere Resultat dieser Versammlungen: „…Jene Hambacher Tage waren der letzte Termin, den die Göttin der Freyheit [sic.] uns gewährte“ Inzwischen mussten Reisende auf dem Weg von Köln nach Königsberg dutzende Kontrollen durchlaufen. (Der Zollverein endete erst 1919). Nach Napoleons Eroberung der deutschen Gebiete, schlossen sich 38 deutsche Länder zum Rheinbund (inkl. Bayern), wovon in der Völkerschlacht von Leipzig einige Mitglieder auf der Seite Frankreichs gegen die preussische Koalition fochten. Hannover und Hessen-Kassel blieben auch nach der Reichsgründung subversive und widerwillige Glieder der neuen Nation.

Es ist Bezeichnend, dass die erste Nationalversammlung 1848 in dem Angebot der Kaiserkrone an Friedrich Wilhelm IV. resultiert. Der lehnte dankend ab: „Lieber König eines starken Preussens, als Kaiser einer zerstrittenen Staatensammlung.“ Die Wahl fiel danach auf einen österreichischen Reichsverweser. Die 48er Revolution scheiterte, ebenso wie die von 1918. !933 klappte es schliesslich: die erste Revolution der Deutschen – das kommt davon, wenn man uns den Kaiser nimmt.

Die Abschaffung der Monarchie zu Gunsten der Weimarer Republik brachte Deutschland keinen sozialen Zusammenhalt. Die Erwartungen einer erstarkenden Arbeiterbewegung konkurrierten mit denen der Bourgeoisie, die teils aus Zwangslage, teils aus Hoffnung auf günstigere Friedensbedingungen, Republik und Demokratie akzeptierten. „Im Wesentlichen war die Weimarer Republik eine Republik ohne Republikaner, und eine Demokratie ohne Demokraten“, schrieb treffend der ungarische Philosoph Georg Lukács.

Eine Nation entsteht allgemein durch den Willen ihres Volkes. Dieser gemeinsame Wille ist das höchste Gut einer unabhängigen Gesellschaft und die Grundbedingung und alleingültige Basis für eine Verfassung (Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1954, S.10ff). Aus diesem Umstand, fehlt der heutigen BRD elementare Voraussetzungen zu einer nationalen Einheit. Wo aber ist heute der vereinte Wille des Deutschen Volkes? Erkennen lässt sich nur eine Vielzahl von unterschiedlichen Interessengruppen, Klientele von fragmentierten Parteien, Lobbies und Organisationen in allen möglichen Gesinnungskombinationen.

Äusserer Druck und bürgerliche Trägheit schützen unsere Machtstrukturen. Ja, wir fordern nur die „angemessenen und gerechten Dinge“, wie Mindestlohn, Wohlstand für alle, Umverteilung des Reichtums, Steuergerechtigkeit, etc. – und natürlich, zur Krönung des gut dressierten Deutschen: die Aufnahme eines jeden, der das Zauberwort Asyl an unseren unsichtbaren Grenzen tönt. Wir werden unser deutsches Festzelt niemals abreissen, Wir ändern nur die Speisekarte, vielleicht ein Teil der Bedienung, aber nicht das Management.

Der Staatsrechtler und Politiker Hugo Preuß, Architekt der Weimarer Verfassung, hielt die Deutschen für das „regierbarste Volk der Welt“ und schrieb weiter:

…im Sinne eines regen und rührigen Volkes, von hoher Tüchtigkeit und Intelligenz, mit entwickelter kritischer Neigung zum Raissonieren, eines Volkes jedoch, das in öffentlichen Dingen nicht gewohnt oder gewillt ist, spontan ohne oder gegen den Willen der Obrigkeit zu handeln…diese Organisierbarkeit in Verbindung mit jenen tüchtigen Eigenschaften bietet in der Tat ein…gutes Material für eine Organisation, deren reinster Typus doch die militärische ist.“ (Obwohl, selbst das Letzte ist auch nicht mehr der Fall.)

Die Alliierten und ihre willigen, ehrlosen Handlanger haben ganze Arbeit geleistet, die Deutsche Nation gibt es immer noch nicht – auch wenn es unsere Wirtschaft so erscheinen lässt.

Die Farben Schwarz, Rot und Gold waren die Uniformfarben des Lützowschen Freikorps der Befreiungskriege. Schwarz-Rot-Gold wurde zum ersten mal erwähnt von den Urburschenschaften. Anlässlich ihrer Auflösung, dichtete ein Burschenschafter 1819 das Lied „Wir hatten gebauet ein stattliches Haus, dessen 7. Strophe lautet:


„Das Band ist zerschnitten,
war Schwarz, Rot und Gold,
und Gott hat es gelitten,
wer weiß was er gewollt!“


Leseempfehlung:

* Über die Reichsverfassung, GWF Hegel, Beck, 2002
*
Der Vorkampf deutscher Einheit & Freiheit, Tim Klein, 1914
*
Deutschland als Sieger im besetzten Frankreich,
Karl Linnebach, 1924
*
Vom Chaos zm Staat, H. Behr, Frankfurter Bücher, 1961
*
Verfassungslehre, Carl Schmitt, Duncker & Humblot, 1928
*
Bilanz der Unterwerfung, Germanus, Druffel, 1967

 

11 Gedanken zu „EIN HAUCH SOUVERÄNITÄT

  1. Die BRD wie auch das Bismarcksche Reich ist/war ein politisches Projekt, das Deutsche Reich Weimars und das A. H. waren ebenfalls politische Projekte. Der Versuch Bayerns sich vom Deutschen Reich abzuspalten wurde durch den Hitler/Ludendorff Putsch verhindert und die Stellung des Zentralstaates gestärkt.
    Gewachsen sind in Deutschland die Einzelstaaten mit ihren jeweiligen Völkern. Darauf sollten wir uns besinnen.
    Aus Einem (das nicht Eines ist) mach Viele.
    Beschreiten wir diesen umgekehrten Weg werden wir mit mehr Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten belohnt werden.
    Damit werden wir uns vom „regierbarsten Volk“ hin zu eigenständigen Völkern ändern, die iihr Schicksal, soweit irgend möglich, selbst bestimmen.

    • Sicher ein interessanter Gedanke; wie dieser, ob ein unabhängiges Preussen alleine nicht besser gefahren wäre. WKI (und damit WKII), wären wohl vermieden worden, Aber da war noch das stets lüsterne Polen…
      HG

      • Der aufstrebende Großstaat „Deutsches Reich“ war international für Mächte wie Großbritannien und Frankreich potentielll gefährlich, militärisch wie auch wirtschaftlich. Souveräne deutsche Staaten, von mir aus auch konföderiert zusammengeschlossen, wären das in dieser Form nicht gewesen.
        Preußen wäre mit den Polen auch alleine fertig geworden, wie auch die Russen.

  2. Ist es Absicht, dass im Text einmal vom „gemeinsamen Willen“ (auf freiwilliger Basis) und weiter unten vom „vereinten Willen“ (vereint – das kann freiwillig oder gezwungener Maßen bedeuten) die Rede ist? Wie auch immer, beide Male wird man nicht umhin können, den gemeinsamen Willen als ebensolche Fiktion zu betrachten, wie man die Zustimmung zur einer „Vertragstheorie“ (volonté général) als Fiktion betrachten muss. Vielleicht missverstehe ich Schmitt, aber ich glaube nicht, dass es jemals eine Nation auf dieser Welt gegeben hat oder auch geben wird, deren Mitglieder einen „gemeinsamen Willen“ bilden könnten. Bei einem gemeinsamen Willen wird es sich wohl immer nur um eine Art von Minimalkonsens über bestimmte für eine Nation wichtige, also grundlegende (abstrakte) Werte handeln. (Die ausdrückliche Zustimmung / Ablehnung (zu) einer bestimmten pol. Frage könnte man m.E. nicht als gemeinsamen Willen definieren.) Wenn tausend Menschen zusammenkommen, werden sich aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen 1001 verschiedene „Willen“ bilden, die der Nation letztlich aber doch nichts anhaben können, solange diese Nation nicht durch die Kraft subversiver Gruppen zu Fall gebracht wird. (Ich denke an die revolutionären Kader in der Russ. Revolution oder auch an die „glühenden Eurozentristen“ unserer Tage, die den Untergang der europäischen Nationen betreiben.)
    Vielleicht „verrenne“ ich mich ja, aber die Fiktion vom „gemeinsamen Willen“ erinnert mich zu sehr an einen Ameisen-oder Bienenstaat, dem jeder Funke von Freiwilligkeit fehlt. Bedauerlicherweise könnte ich aber auch kein Gegenkonzept dazu anbieten, denn wenn sich niemand mehr zur deutschen oder österreichischen oder zur französischen Nation zu bekennen bereit wäre, wäre das früher oder später natürlich auch das Ende dieser Gebilde. Aber genügt ein solches Minimalbekenntnis, um von einem „gemeinsamen“ Willen sprechen zu können? Und – warum bestehen diese Nationen, wenn ihnen der gemeinsame Wille ohnehin fehlt? Wenn diese Theorie stimmt, müssten sie sich dann nicht bereits aufgelöst haben? Oder haben sie sich bereits aufgelöst und ich hab’s nicht bemerkt?
    Eigentlich müsste ich den Text nun ja löschen und neuerlich mit dem Nachdenken beginnen – ich lass ihn dennoch stehen.
    Mit besten Grüßen
    WS

    • Ihr Einwand ist schon berechtigt. Verfassungsrechtliche Fragen haben oft nur in Abstraktion ihre Bedeutung. In einer Demokratie wird der Wille des Volkes prinzipiell sichtbar; aber in (z.B.) unseren Formen des Parlamentarismus und des Wahlrechts „verschwindet der Souverän in der Wahlkabine“ (wie es Schmitt treffend schrieb). Da sind autokratische Systeme klarer: Sie bestehen, oder werden gestürzt (Hobbes‘ Leviathan). Wichtig scheint, dass man dem Volk (repräsentiert durch seine „aktiven Aktionäre“ die Chance bietet sich in einer Weise zu äußern. Die Revolution ist das „Überdruckventil“.
      Auf kleiner Ebene, Parteien oder Klubs, ist der Massenaustritt oder Nichtzahlung von Beiträgen eine Form der Entscheidung. Bis zur Auflösung wartet man in der Regel nicht bis auf das letzte Mitglied. Schmitt zielt nicht auf die 100%, aber eine „Sollbruchstelle“ im System. Das deutsche System (bewusst) verhindert, dass dieser „Allgemeinwille“ sichtbar wird. Es liegt bei den Bürgern. Weshalb der Spruch „jedes Volk hat die Regierung die es verdient“ weitgehend Geltung besitzt.
      HG

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  4. Lieber Herr B.,
    Danke für den Beitrag. Zuerst macht mich der erste Satz sprachlos. Was meinen Sie damit, daß es den Deutschland von 1871 niemals geben durfte? Ist es eine Vorausnahme der Legitimation des 3. Reiches oder ist es der Blick auf die Gründungsintention? Ist Ihre Aussage vielleicht kurzsichtig, weil sie im ersten Fall nicht anglo-amerikanischen Einflüsse auf die deutsche, ja die gesamte kontientaleuropäische Politik vernachlässigt, die den 1. WK heraufbeschworen hat (und zwar im wirklichen Sinne des Wortes herauf-beschworen) und im anderen Fall die deutsche Geschichte vernachlässigt, die nicht mit dem 1. Reich, begonnen hat, sondern wohl mit Heinricht I oder früher? Wer sagt denn, daß die demokratische Willensbildung ein Kennzeichen einer Nation/ eines Staates ist? Und war vielleicht das Heilige Römische Reich in mancher Hinsicht nicht ein beachtenswertes und interessantes politisches Gebilde? „Ich weiß, daß ich nichts weiß“, deshalb dürften die Fragen erlaubt sein. Liebe Grüße nach K.

    • Hallo und vielen Dank für Ihren Besuch, nach längerer Zeit.
      Eine vereinte Deutsche Nation war den dominierenden Staaten höchst unerwünscht.
      Besonders Frankreich wollte D. aus dem Zentrum Europas verdrängen. Vor WKI zeichnete es einen entsprechenden Pakt mit Russland. Der Handelsneid gab den Briten ihr Motiv: „Germania esse delendam“. Napoleon setzte auf die Uneinigkeit der vielen Kleinstaaten.
      Nach den beiden Weltkriegen gab es genug Stimmen, D. für immer zu vernichten (Morgenthau). Die Gier der Sieger waren unsere Rettung. Auch vor der Gründung gab es genug Widerstand innerhalb der deutschen Länder gegen den Bund mit Preussen.

      Ich schrieb: „… Eine Nation entsteht allgemein durch den Willen ihres Volkes.“ Kolonialgebilde und UN- gesponserte Kunststaaten natürlich ausgenommen (und daher auch mein Gebrauch des Begriffes „allgemein“).

      Das HRRDN wurde bedacht, aber es war kein Nationalstaat per se, sondern blieb ein monarchisch geführtes, ständisch geprägtes Gebilde aus Kaiser und Reichsständen mit nur wenigen gemeinsamen Reichsinstitutionen.
      Sie sind zu bescheiden!
      Beste Grüsse und Alles Gute

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