FRÜH-KAPITALISTISCHE TRUGSCHLÜSSE

Zur Perzeption der ökonomischen Geschichte
Während der Zeit des Kameralismus (16.-18. Jahrh.) entstanden die ersten wichtigen kapitalistischen Strukturen – und standen schon unter starken staatlichen Einflüssen.

Der Religionsphilosoph Theodor Ludwig Lau (1670-1740) beschrieb die Anschauungen der Kameralisten und Merkantilisten: „In der Menge des Volkes wurzelt die Macht und der Reichtum des Staates“. Lau wäre dazu sogar vor der Polygamie nicht zurückgeschreckt, doch sei dies „…wegen der Contradiction der vor die Ehre Gottes eiffernden Clerisey nicht zu verhoffen“ (Sic). So traten die früheren ethischen Aspekte des Aquinats und Martin Luthers in den Hintergrund. Der materielle Pragmatismus spiegelt sich in der Aussage Bernard Mandevilles (1670-1733) „Die Laster des Einzelnen gereichen der Öffentlichkeit zum Nutzen“. In seiner bekannten „Bienenfabel“ heißt es:

Genauso uns das Laster nutzt,
wenn das Gesetz es kappt und stutzt.“
(und weiter:)
„Mit Tugend bloß kommt man nicht weit
wer wünscht, dass einen goldne Zeit
zurückkehrt sollte nicht vergessen,
man musste damals Eicheln essen“

Adam Smith, Gründer der klassischen Nationalökonomie und Autor der „invisible hand“  sowie Jean Babtiste Say (Saysches Theorem) und andere Zeitgenossen wurden von Karl Marx der intellektuellen Mitschuld bezichtigt (social indifference), an einer sich bildenden sozialen Verelendung als Resultat der Industrialisierung. Dabei setzte sich Smith mit Nachdruck für höhere Löhne ein, trotz aller Überzeugung, dass in der freien Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte – was schon zu seiner Zeit nicht möglich schien – das beste Mittel zur Behebung der Lage der Arbeiter zu finden sei. Bereits zum Ende des Merkantilismus rief verzweifelt der Marquis D’Argenson: „Et laissez-faire, monbleu, laissez-faire!“ und „um besser zu regieren müsste man weniger regieren“. Von Adam Smith bis Paul Krugman stand jeder Wirtschaftsphilosoph auf den Schultern seines Vorgängers und auch der Autor der extremsten Theorie leistete seinen Beitrag zum besseren Verständnis der Gesellschaft und ihrer wirtschaftlichen Funktionen.

Nach der Renaissance belegte zuerst Rousseau den Grundbesitz mit einer moralischen Hypothek. Aber seit dem Aquinat, über Gresham, Quesnay, Smith, Bentham, Say, Mill, Ricardo, Malthus, Sismondi, Thünen und Mangoldt (um nur die Bedeutendsten zu nennen) bis zum Erscheinen der Sozialisten um Proudhon („Eigentum ist Diebstahl“), sahen die Ökonomen und Philosophen eine Verbesserung der Gesellschaft hauptsächlich in staatlichen Änderungen. Beispielsweise Zinsen, Grundrente, Zahlungsverkehr, Edelmetall-Rechte, Zölle, Patente, Steuern, Marktrechte, Monopole und materielle Privilegien wurden eingehend untersucht um Gesetzmäßigkeiten zu entdecken und die volkswirtschaftlich günstigsten Strukturen zu erkunden. Auch die Klassiker und Physiokraten hatten dabei das Schicksal der Arbeiter und gerechtere soziale Ausgeglichenheit vor Augen – entgegen landläufiger Annahmen.

Karl Marx sah als erster zunächst nicht im Staat, sondern in den Tugenden seiner Mitmenschen das größte Hindernis auf dem Weg zum gemeinschaftlichen Wohl: Produktivität, Fleiß, Kreativität und Erfolg des einzelnen Menschen waren für ihn keine notwendigen Eigenschaften zu einer positiven gesellschaftliche Entwicklung. Im Gegenteil – diese waren für ihn das Hauptproblem einer modernen Humanität. Seine Theorie fiel auf den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Umstände. Er brauchte den Staat nicht zu bekämpfen. Dies taten Millionen unzufriedener Zeitgenossen und später skrupellose Diktatoren in seinem Namen.

Marxs Vorgänger waren weniger erfolgreich: Die jeweiligen Mächte bedienten sich nur teilweise, wählerisch und zögernd der Vorschläge ihrer Vordenker. Meist pickten sie nur die Komponente einer jeweiligen Theorie, welche ihnen zum persönlichen Vorteil erschien. Das hatte zur Folge, dass das Gesamtresultat vorgeschlagener Maßnahmen verfälscht wurde und keine konkreten Schlüsse zuließ. Bis heute gab es noch nirgendwo einen reinen Kapitalismus (mit möglicher Ausnahme der amerikanischen Gründerperiode), in dem die Wirkung des freien Handels und des ungehinderten Wettbewerbs empirisch erfasst werden konnte. Auf was man sich bei einer Beurteilung stützen kann, sind die gesellschaftlichen Resultate einer manipulierten Mischwirtschaft, oder eines „Feudal-Sozialismus“.

Kurios dabei ist, dass viele Menschen einen reineren Kapitalismus als eine Verschlechterung ablehnen (wir meiden auch nicht reines Wasser, nur weil verschmutztes Wasser Menschen krank macht.) Dass der Kapitalismus fälschlicherweise öfters mit Faschismus in Verbindung gebracht wird, bleibt einer der großen Propaganda-Siege des Kommunismus. Der letztere hingegen durchlief schon in unzähligen Schattierungen und „Cameo-Rollen“ die Erdregionen. Trotz kläglichem Scheitern und wahnwitzigen Verlusten an Menschenleben und Ressourcen in allen seinen Varianten, sollte seine reine Form, also ein wahrer aber immer noch unversuchter Sozialismus, unsere Gesellschaft „heilen“. Das muss man dem alten Marx schon lassen: Er hat es geschafft, dass Millionen Menschen immer noch hoffen (glauben), dass eine stets neu-aufgewärmte Version seiner giftigen Brühe besser schmecken würde als die bewährte, gut-bürgerliche Mahlzeit.

Es gibt keine kulturellen Fortschritte per se, sondern nur gesellschaftliche Anpassungen an wissenschaftlich-technologische Errungenschaften. Ein altes muslimisches Sprichwort sagt: „auch wenn Du den Esel 7 mal um Mekka führst, am Ende bleibt es doch nur ein Esel.“ Der Mensch ist ein Teil der Vielfalt der Natur. Seine geistigen Fähigkeiten, vervielfacht seine Diversität ins schier Unendliche. Erzwungene Gleichmacherei, in jeglicher Hinsicht, raubt der Menschheit diese geistige, kreative Vielfalt und hemmt so die wirtschaftlichen, technologischen und soziopolitischen Entwicklungen. Sind denn die Größen der Menschheitsgeschichte, beispielsweise nur des 19. und 20. Jahrhunderts, aus kommunalen Institutionen hervorgegangen? Kamen denn Kant und Goethe, Pasteur und Amundsen, Edison und Bismarck, Ford und Einstein, Krupp und Mao Tse-Tung, Gandhi und Churchill alle aus dem gleichen sozialen Milieu? Aus tiefster Armut kann Welt-verändernde Größe entstehen (Immanuel Kant) und größter Reichtum kann sozialen Fortschritt bringen (Friedrich Krupp). Und in einer freien Gesellschaft funktioniert das Ganze auch umgekehrt.

Den Kommunismus und sein geistiger Vater, Karl Marx scheint jeder gut zu kennen – so gut, dass man seine Parolen und Avatars auf T-Shirts druckt, sich zu seinem Lebensstil bekennt (wenn auch heuchlerisch und unecht) und – wie eine Religion – mit ideologischen Mantras verteidigt. Viele rufen nach dem Sozialismus, ohne ihn wirklich zu wollen. Was man will, ist eine „sozial gerechte“ Gesellschaft, in der nicht jeder gleich bescheiden lebt, sondern jeder gleich wohlhabend. Welche Mechanismen sind es, die Wohlstand unter diesen Bedingungen schaffen – egal in welcher Form oder Verteilung – welchen Begriff könnte man so einem System geben? Im Faschismus brummt die Wirtschaft und jeder ist gleich. Dieses Problem der Perzeption hatte der US Sänger Stevie Wonder in einem Song („Superstition“) 1972 eloquent behandelt: „if you believe in something you don’t understand, than you suffer…!“ Sollten wir doch den Kapitalismus endlich verstehen, wie wir glauben den Kommunismus verstanden zu haben – dann hätten wir am Ende vielleicht  doch alle was davon.

F.A. Von Hayek der die Leistungen des ehemaligen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard anerkannte – lehnte den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ ab:
Wir verdanken den Amerikanern eine große Bereicherung der Sprache durch den bezeichnenden Ausdruck „weasel-word“ So wie das kleine Raubtier Wiesel angeblich aus einem Ei allen Inhalt heraussaugen kann, ohne dass man dies danach der leeren Schale anmerkt, so sind die Wiesel-Wörter jene, die, wenn man sie einem Wort hinzufügt, dieses Wort jedes Inhalts und Bedeutung berauben. Ich glaube, das Wiesel-Wort par excellence ist das Wort „sozial“. Was es eigentlich heißt, weiß niemand. Wahr ist nur, dass eine soziale Marktwirtschaft keine Marktwirtschaft, ein sozialer Rechtsstaat kein Rechtsstaat, ein soziales Gewissen kein Gewissen, soziale Gerechtigkeit keine Gerechtigkeit – und ich fürchte auch, soziale Demokratie keine Demokratie ist.“

8 Gedanken zu „FRÜH-KAPITALISTISCHE TRUGSCHLÜSSE

  1. Grosse Entwürfe sind eigentlich immer zum Scheitern verurteilt. Wie bisher werden wir wohl damit leben müssen, dass sich grössere und kleinere Gruppen ihre „Welt“ mit ihrer eigenen Philosophie und Infrastruktur schaffen. Interessant ist wie diese Gruppen in Zukunft agieren und interagieren werden. Für diese Problematik scheinen sich die Theoretiker nicht zu interessieren. Man müsste sich ja mit anderen Meinungen auseinandersetzen.

  2. „Sollten wir doch den Kapitalismus endlich verstehen, wie wir glauben den Kommunismus verstanden zu haben – dann hätten wir am Ende vielleicht doch alle was davon.“ Es wäre zu schön, um wahr zu sein!!:-)

  3. „Wahr ist nur, dass eine soziale Marktwirtschaft keine Marktwirtschaft, ein sozialer Rechtsstaat kein Rechtsstaat, ein soziales Gewissen kein Gewissen, soziale Gerechtigkeit keine Gerechtigkeit – und ich fürchte auch, soziale Demokratie keine Demokratie ist.“

    immer wieder anregend 🙂

    marktwirtschaft soll nicht sozial sein! die gesellschaft soll sozial sein.

    man kann die worthülsen ausspucken.

    eine demokratie, in der 80 % des volkes keine islameinwanderung wünscht, sie trotzdem stattfindet, ist ganz offensichtlich keine „demokratie“. die kunst ist es, das dem volk trotzdem einzureden.

    herzliche grüße!
    vp

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