KEIN NACHRUF AUF GRASS

Ich liebe Bücher. Enthielt meine Seele auch nur ein Quantum religiösen Glaubens, so befände sich – als Idol meiner Anbetung – ein gedrucktes Werk auf dem Altar. Das geschriebene Wort ist die einzige geistige Verbindung zu unseren Ahnen und der Menschheitsgeschichte. Dieser Verantwortung sollte sich jeder Autor bewusst sein.

Wie bei der Wahl von Freunden und Gefährten, so haben auch bei meinen Büchern geistiges Siechtum, Heuchelei, Opportunismus, leeres Geschwätz und Narzissmus keinen Platz auf meinen Regalen. Aus dem Bereich der Literatur, erfahren Novellen und Erzählungen die strengste Auslese. Die Werke von G. Grass empfinde ich als literarisches Äquivalent eines Pollock oder Baselitz. In unserer Zeit hat es ein Künstler wohl geschafft, wenn sein Werk in ‚gelehrter‘ Runde interpretiert wird. Dabei ist es egal, ob er allerseits Bewunderung findet oder von einem lebenden Reich-Ranicki zerissen wird: Die öffentliche Beachtung ist gesichert. So ist es auch der ‚Blechtrommel‚ gelungen, ihrem Schöpfer zum ewigen Ansehen zu verhelfen. Ranghohe Literaten – wie auch andere prominente Künstler – brauchen seit langem keine rationalen Ansichten mehr zu vertreten, keine wissenswerte Einblicke zu vermitteln, oder nur erbauliche Lyrik zu schreiben.

Das Privileg der Narrenfreiheit erlaubt es elitären Schreibern, dem Publikum eine Schachtel mit Wortstücken, gleich einem ‚Scrabble‚ hinzuwerfen, die dann von einer gnostischen Anhängerschaft zu einem mehr oder weniger sinn-haltigen Text sortiert werden. Ein sibyllischer Kommentar, oder nur eine Aposiopese – und schon scharen sich die literarischen ‚Code-breaker‘ zur Entschlüsselung, welche der Autor wohlwollend abnickt, oder die blinde Einfalt der Interpretationen mit Zynismus quittiert.
Kaum jemand aus der Kriegsgeneration war auf einen narrativen Blechtrommler für ein Verständnis der Geschehnisse angewiesen. Der ‚kurz-danach-Generation‘ blieben die Fakten dieser Zeit durch die autogene ‚Vergangenheitsbewältigung‘ onehin verschlossen.

Es dauerte rund 40 Jahre bis G. Grass seinen Nobelpreis bekam; erstaunlicherweise angeblich, weil er der deutschen Literatur einen neuen Anfang verschaffte, „nach Dekaden sprachlichen und linguistischen Zerfalls“. Für mich endet die Tradition der großen geistigen Künste mit Bertolt Brecht. G. Grass hielt ich eher für den symptomatischen Beweis eben diesen Zerfalls. Die Impertinenz viele seiner da-da-istischen und sinn-leeren Wort-Konstrukte als ‚Gedichte‘ oder ‚Lyrik‘ zu bezeichnen, hätte einem H. Heine oder Goethe das Hemd in die Hosen gezogen. Wie die selbsternannten Intellektuellen vor einer abstrakten Malerei stehen und mit eifriger ‚Sachkunde‘ die Intensität eines belanglosen Farbkleckses diskutieren, so analysiert die gelehrte Welt der Literatur staunend die vielen nichts-gebenden Texte.

Aber der Zwang, das opus magnum zu lesen, ist geschaffen. Vielleicht wäre es eine gute Idee, für die vielen gepeinigten ‚Seitenfresser‘, selbstklebende Kopien der Buchrücken von den ‚muss-man-gelesen-haben‘ Titeln herzustellen. Die lassen sich dann auf die ‚Harry Potter‘-Ausgaben in den häuslichen Bücherregalen heften um anspruchsvolle Gäste zu beeindrucken.

Um auf die Analogie mit den Freunden zurück zu kommen: Welchen großen Schriftsteller wünschten Sie in Ihrer Nähe für einen langjährigen Inselaufenthalt und abendliche Gespräche?

6 Gedanken zu „KEIN NACHRUF AUF GRASS

  1. Hat dies auf dekmindworksKotz Blog rebloggt und kommentierte:
    Ich bin auch wahrlich kein Grass-Freund, aber immer mit Brecht, Goethe oder Heine (Gott hab‘ ihn selig!) zu argumentieren, bei allem Respekt, ist öde, konservativ, langweilig und phantasielos.
    An dieser Stelle hebe ich gerne mein Glas auf Charles Bukowski, auch wenn dieser sich bereits seit einiger Zeit verabschiedete!

  2. Man sollte ihn nicht zu streng verurteilen. Schon alleine, weil er Deutscher war, hatte er es schwerer als andere, noch dazu im 20. Jh.! Mit dem Gedicht „Was gesagt werden muss“ hat er als Deutscher im Alter großen Mut bewiesen. Hier einige Absätze daraus:
    „Warum aber schwieg ich bislang?
    Weil ich meinte, meine Herkunft,
    die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
    verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
    dem Land Israel, dem ich verbunden bin
    und bleiben will, zuzumuten.

    Warum sage ich jetzt erst,
    gealtert und mit letzter Tinte:
    Die Atommacht Israel gefährdet
    den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
    Weil gesagt werden muß,
    was schon morgen zu spät sein könnte;
    auch weil wir – als Deutsche belastet genug –
    Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
    das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
    durch keine der üblichen Ausreden
    zu tilgen wäre.

    Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
    weil ich der Heuchelei des Westens
    überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
    es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
    den Verursacher der erkennbaren Gefahr
    zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
    gleichfalls darauf bestehen,
    daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
    des israelischen atomaren Potentials
    und der iranischen Atomanlagen
    durch eine internationale Instanz
    von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.“

    • Danke für Ihren Kommentar. Wollen wir Ihrer Kausalität folgen, dann gibt es weitere 80 Mill. Deutsche; davon vielleicht noch 10 Mill. die es ebenso schwer oder schwerer hatten (ohne die Privilegien die Grass genoss); meine Großeltern zum Beispiel. Mit Verlaub, diesen Erguß habe ich gelesen und nur Grass durfte eine persönliche politische Erklärung ohne lyrischen Wert ein „Gedicht“ nennen. Und was meinen Sie mit „großem Mut“? Ich denke nicht, der Mossad hätte sich an dem exzentrischen Greis vergriffen.
      Nette Grüße

      • Ehrlich gesagt kenne ich Günter Grass kaum. Überhaupt ist vieles von der „höheren“ Kunst und Kultur „spurlos“ an mir vorbeigegangen. (ist viell. eh besser so, denke ich mir manchmal) Aber am Freitag, den 10. April habe ich in meiner Arbeit in unserem Keller-Lager zwei Exemplare des Buches „Mein Jahrhundert“ von Grass gefunden. Obwohl ich schon sehr oft über viele Jahre im Lager unten war, sind sie mir nie aufgefallen, also erst an diesem Tag. Ich nahm beide mit rauf und gab sie in unseren Abverkaufs-Bücher-Korb. Am Montag darauf habe ich dann im Internet gelesen, dass Grass gerade gestorben ist. Das war mir dann fast unheimlich. Einige Tage später kam ein Mann, der eindeutig nach Benehmen und Aussagen einer Israel-Lobby (Geheimdienst od. ä.) zuzuordnen ist und den ich seit 2008 fast ständig am Hals habe, egal wo ich in Freizeit oder Arbeit bin. Er „palaverte“ mich wieder einmal an. Ich empfinde es immer als „Gehirnwäsche“ und es ist auch sicher so gemeint. Er schaute, obwohl er schon unzählige Male in den Bücherkorb geschaut hatte, plötzlich ruckartig und ziemlich feindselig auf das Buch von Grass und starrte es längere Zeit an, was ich erstaunt registrierte. Also diese Israel-Lobby-Leute mögen den Grass sicher nicht, dachte ich mir dann. Ich habe das Buch wirklich nur zufällig raufgetragen, ohne bestimmte Absicht. Aber dieser Mann und viele von den Geheimdiensten unterstellen mir anscheinend immer etwas. (Sonst würden sie mich ja nicht überwachen. Sie schließen von sich selbst auf mich.) Das wollte ich nur ergänzen.
        Wegen der Überwachung, der ich schon seit über 20 Jahren ausgesetzt bin, schreibe ich unter einem falschen Namen.

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