EIERTANZ DER IDEOLOGEN

Adam Smith, die Unsichtbare Hand und der Interventionismus

Modernen Kritikern des Kapitalismus und der Klassischen Nationalökonomie scheint oft das Verständnis der historischen Zusammenhänge für eine ehrliche und systematische Critique zu fehlen. Geht man von der Prämisse aus, dass es keine grundsätzlich neuen gesellschaftlichen Institutionen gibt, sondern nur Entwicklungen aus bestehenden, so erkennt man auch, dass jede geistige Größe auf den Schultern ihres Vorgängers steht.

Wenn man die wichtigen Werke gewisser Denker in seinen Studien selektiv übergeht – weil einige deren berühmte Zitate nicht in eigene vorgefasste Anschauung passen – beraubt man sich selbst des historischen Gesamtbildes. Der Forschende verschließt sich dem Verständnis für mögliche Zusammenhänge und zieht, im schlimmsten Falle, Fehlschlüsse. Dies ist etwa, als wenn man im Auto nur nach vorne schauend fährt und Verkehrszeichen ignoriert. Perzeptiv gesehen bestätigt sich vielleicht die eigene Ideologie, aber der ursprüngliche Sinn des Studiums – die Suche nach der Wahrheit und der geistige Fortschritt – bleiben auf der Strecke.

Adam Smith (1723 -1790) vollendete sein opus magnum in 1776, interessanterweise das Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung – und des Todes seines Freundes und Mentors David Hume. „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ („Wohlstand der Nationen“) gilt als der Beginn der klassischen Nationalökonomie und Ende des Merkantilismus (in Deutschland dem Kameralismus). Das Werk war ein monumentaler Erfolg und erlaubte einer breiten Leserschaft (inklusive maßgebender Staatsdiener) das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge, im historischen Kontext.

Kernstück seines rund 900-Seiten umfassenden Werkes, ist sein bekanntes Plädoyer für laissez-faire des Handels und der Märkte. Diese Ansicht wurde verstärkt durch seine Begegnungen in Frankreich mit François Quesnay, Mitbegründer der Physiokraten und dem Marquis D’Argenson („Um besser zu regieren, müsste man weniger regieren“). Hier ist das volle Zitat:
„In dem der Einzelne sein eigenes Interesse verfolgt, fördert er das der Gesellschaft viel wirksamer, als wenn er wirklich das Letztere zu befördern beabsichtigt. Und indem er diesen Gewerbefleiß solchermaßen leitet, dass sein Erzeugnis den größten Wert erhalte, beabsichtigt der Einzelne nur seinen eigenen Gewinn, und wird in diesen wie in anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand gelenkt, ein Ziel zu fördern welches nicht Teil seiner ursprünglichen Absicht ist.“ Dazu folgt etwas später: „…ich wüsste nicht von viel Gutem das durch diejenigen entstand, die vorgaben für das Allgemeinwohl zu handeln“.

Angefeindet und scharf kritisiert wurde Adam Smith hauptsächlich von neuzeitlichen Autoren; angefangen mit dem Ökonomen Joseph Schumpeter, der bei Smith „analytische Methoden vermisste“. Ebenso vermisst man auch bei manchem Befürworter des Libertarismus das nötige 3-D Bild für geschichtliche Abläufe. Ausgerechnet der Anarcho-Kapitalist Murray Rothbard erteilte die übelste Kritik: Weil Smith den Warenwert durch die Produktionskosten bestimmt hätte und nicht durch die subjektive Einschätzung der Märkte, wäre er ein Wegbereiter des Marxismus(!)

Ich habe selbst noch kein Werk mit gesellschaftlichen Themen und von diesem Umfang gelesen, das nicht Ungereimtheiten, Widersprüche oder – aus heutiger Sicht gesehen – Fehlschlüsse beinhaltete. Die über 2000 Seiten (4 Bände) lange Abhandlung von Werner Sombart (ein Zeitgenosse Schumpeters) „Der moderne Kapitalismus“ (1916) z.B., enthält mehrere Zitate und Hinweise auf Adam Smith. Obwohl von großer Systematik und Ausführlichkeit, weist auch Sombart zahlreiche syllogistische Baustellen und Widersprüche auf. Wie so viele der modernen Denker, lässt auch er gerne Aristoteles sprechen – zur Erhärtung des Postulats, dass die „Vermehrung einer Geldsumme über die Bedarfsdeckung des lebenden Menschen hinaus unsittlich sei.“ Dabei übersieht auch er, dass (wenn Aristoteles, wie Thales erstmals vor ihm, über die Chrematistik schreibt) das Gewinnstreben kein dämonischer Geist der Neuzeit, sondern eine ursprünglich menschliche Eigenschaft ist.

Über die Freiheit jedoch schreibt Sombart kaum. Auch bei Adam Smith wird sie nicht erwähnt – es ist ein zu frühes Konzept, für die Massen der Bevölkerung. Alexis de Tocqueville (1805 – 1859), dessen Großvater unter der Guillotine starb, erkannte in seinem „Ancient Regime“, dass die (Französische) Revolution zunächst eine Sache des politischen Systems war. Erst nach Gründung der 2. Republik erschien die Freiheit auf den Bannern: „Liberte, Egalite, Fraternite“. De Tocqueville schrieb: „Als sich Napoleon zum Herrn der Revolution machte, dankte die Freiheit zu Gunsten der Gleichheit ab“. So ging es bei keinem der klassischen Nationalökonomen um die individuelle Freiheit per se, sondern stets um das Wohl der Nationen, den allgemeinen Wohlstand und die Stabilität der Gesellschaft.

Für Jeremy Bentham (1748 – 1832), Gründer des Utilitarismus („Das größte Glück für die größte Anzahl als Maß für Recht und Unrecht“) und ein Zeitgenosse Smiths, waren die Naturrechte und natürlichen Gesetze nur „Blödsinn auf Stelzen“. Auch das Werk von Adam Smith reflektiert (wie bei seinen anderen Zeitgenossen) eine ernste Sorge um die Zukunft der Unterschicht und Arbeiterschaft, sowie einen gewissen Argwohn über die Absichten und Mächte der Privilegierten. Schrieb er z.B.: „Alles für uns selbst und nichts für andere Leute, scheint, in jedem Zeitalter der Erde, die widerliche Maxime der Herrschenden zu sein…“ (Buch III, Kap. IV.) und diese bezeichnende Erkenntnis: „Wenn das Gesetz die Misshelligkeiten zwischen Brotherren und Arbeiter auszugleichen versucht, sind die Ratgeber die Brotherren“. Adam Smith darzustellen, als entweder den Wegbereiter des Marxismus oder Vater der freien Marktwirtschaft ist daher gleichermaßen ungelehrt.

Ein Studium der einflussreichsten ökonomischen Abhandlungen seit dem Ende des Feudalismus lässt erkennen, dass der Kommerz stets zuallererst dem Staate (und Kirche) diente – und noch dient. Mit der Entstehung der ersten kapitalistischen Strukturen im frühen Merkantilismus, regierten und regulierten die Herrscher in die Aktivitäten der Kaufleute, Geldhäuser und Manufakturen hinein: Zölle, Monopole, Import- und Exportbeschränkungen, Ausfuhrprämien, Abgabenrückerstattungen, Einlösungspflichten (Bank Restriction Act England, 1793) Zwangskapitalisierung, Privilegien, Marktrechte u.s.w., waren die Merkmale eines bewussten und fortschreitenden Interventionismus. All dies bewirkte jedoch wenig für die Gesamtentwicklung der Nation. Wie auch heute noch, überschnitten sich viele der komplexen Bestimmungen oder hoben sich gegenseitig auf. Hauptsächlich aber verhinderten die meist eigennützigen Eingriffe des Staates die Entwicklung reibungsloser kapitalistischer Strukturen, sowie den ausgewogenen Handel unter gleichberechtigten Bürgern.

Adam Smith und besonders Alexis de Tocqueville, erkannten klar die Verbindung zwischen einer wirtschaftlich absolut gleichberechtigten Bevölkerung, ihrer individuellen Freiheit und einer minimalistischen Regierung, welche sich auf die wenigen nationalen Aufgaben beschränkt und ihren Bürgern die Selbstverantwortung überlässt. Diese Kombination erlaubte es Amerika in eindrucksvoll kurzer Zeit von einer wilden englischen Kolonie zur Großmacht aufzusteigen. Nirgendwo anders auf der Welt funktionierte eine Demokratie mit ähnlicher Effizienz und im Sinne aller Teilnehmer. Ohne der nahezu reinen kapitalistischen Institutionen und staatlichen Zurückhaltung, wäre diese gesellschaftliche Leistung unmöglich gewesen. Obwohl die Einwanderungswogen aus aller Welt die unterschiedlichsten Kulturen und Bräuche zusammenwürfelte, teilten alle die gleiche Grundeinstellung über eine selbständige und produktive Lebensweise und resultierte in einer paradoxen, aber einzigartigen Homogenität gesellschaftlicher Zielsetzungen.

Dieser Zustand währte so lange, bis eine politische Elite sich darauf besann, neben England, Spanien und Frankreich, auf der Weltbühne als Hauptdarsteller mitzuspielen. Mit den ersten kolonialen Kriegen (zunächst gegen Spanien), der Monroe Doktrin und der amerikanischen Einmischung im WK I. unter dem demokratischen Präsidenten Woodrow Wilson, war die junge Nation genötigt, den interventionistischen Weg der europäischen Staaten zu begehen: Es galt zunächst, das Volk zu überseeischen Abenteuern ideologisch vorzubereiten. Finanzielle Mittel zur Aufrüstung mussten bereitgestellt werden, durch Besteuerung, Anleihen und Kapitalbeschaffung über die Märkte. Nicht zuletzt erforderte es die Konzentration und Sicherung der industriellen Produktion durch Zusammenlegen von Schlüsselindustrien, Schaffung von Monopolen, sowie die Eindämmung der Forderungen der arbeitenden Masse. Der Anfang vom Ende eines freien und gleichberechtigten Unternehmertums und Beginn staatlicher Bevormundung. Die Rezepturen dafür kamen zunächst von preußischen Vorbildern, von Bismarck und schließlich, während der demokratischen Präsidentschaft F.D. Roosevelts (besonders für seinen „New Deal“ und die NRA), aus nationalsozialistischen Konzepten und Mussolinis Faschismus.

Die Kritik an Adam Smith und der kapitalistischen Entwicklung offenbart ein breites Unverständnis der Geschichte im Allgemeinen und die der Nationalökonomie im besonderen. Es ist bezeichnend und interessant zu beobachten, wie Philosophen, Ökonomen, Soziologen und Kommentatoren ihre Werke zunehmend mit ideologischen Positionen verknüpfen. Schon Werner Sombart – zunächst ein begeisterter Marxist – entschied, dass das herrschende Wirtschaftsprinzip seiner Zeit das „Erwerbsprinzip“ sei; anstelle der „Bedarfsdeckung“ der vor-merkantilistischen Zeit: „…aus dem tiefen Grunde der europäischen Seele ist der Kapitalismus erwachsen“. Keine einzige solch ungedeckter, verbaler Monstrositäten findet sich in den Werken der Klassiker.

Die große Mehrzahl der neueren Sachbücher, Medienartikel und Blog-Einträge umgehen die historischen Details der letzten 2500 Jahre und erklären die heutigen Missstände schlicht als Fluch eines grenzenlosen, individuellen Egoismus. Ähnlich dem mysteriösen Erscheinen der verheerenden mittelalterlichen Pest – die man der lasterhaften und gottlosen Lebensweise ihrer Opfer zuschrieb – entfesselte die beginnende Industrialisierung den Kapitalismus, der den Menschen die „soziale Verantwortung“ raubte und durch hemmungslose Gewinnsucht ersetzte. Um sich wissenschaftlich nicht weiter bemühen zu müssen, erfindet man noch eine schwachsinnige Kausalität zum Faschismus. Wie auch bei anderen Themen, rechnet man fest mit der Trägheit und Oberflächlichkeit der breiten Masse.

Bezeichnend für den ideologischen Eiertanz ist die Kritik von Karl Marx an Pierre-Joseph Proudhon, der die Gleichstellung durch Ausgleich aller Löhne anstrebte, sowie die Sozialisierung allen Privateigentums was „nicht durch Arbeit entstand“. Marx, der hier einen „richtigen“ von einem „falschen“ Kommunismus unterschied, urteilte:
„Dies würde nichts am prinzipiellen Verhältnis der Menschen zur Sachwelt ändern. Vielmehr würde eine solche Theorie alles vernichten, was nicht fähig ist als Privateigentum von allen in gleicher Weise besessen zu werden. Die Bestimmung des Menschen als der eines „Arbeiters“ würde dadurch nicht aufgehoben, sondern auf alle Menschen ausgedehnt und das Kapital bliebe die allgemeine Macht in der Gesellschaft.“
Einige der wenigen wahrhaft erleuchteten und konsequenten Deduktionen von Marx, mit denen er den Nagel auf den Kopf traf.

Gleichmacher und Umverteiler erhalten von Schumpeter neuen Mut: Obwohl er keinen Sozialismus wollte, denke er „..[ist] der Kapitalismus dennoch dem Untergang geweiht, weil er seine soziale Struktur selbst zerstöre“. Und Marx war clever genug – wie stets, wenn seine sozialistischen Parolen sich dem Hindernis der Rationalität näherten – den gesamten ideologischen Kram, mit all seinen Maximen und Formeln in der mysteriösen „Bundeslade der verpassten historischen Gelegenheiten“ zu verstauen; mit den zynischen Worten: „Der total verstandene Kommunismus ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte“. Da hatte sich die Menschheit gerade nochmal durch ihr eigenes Unvermögen gerettet.

Literatur:
K. Marx, „Das Kapital“ 2. Auflage (1873), 2009
A
. de Tocqueville, „On Democracy, Revolution and Society“, 1980
W. Sombart, „Der Moderne Kapitalismus“, 1921
A. Kruse, „Geschichte der Volkswirtschaftlichen Theorien“, 1953
A. Smith, „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“, 1924

 

 

 

18 Gedanken zu „EIERTANZ DER IDEOLOGEN

  1. Mit Interesse gelesen, aber irgendwie ist mir nicht ganz klar geworden, worauf es letztlich hinauslaufen soll…….beispielsweise: wie wird die oben angeführte „Befürchtung“ Schumpeters, die man ja nicht selten – zumindest Ansatzweise – tatsächlich beobachten kann, (Machtkonzentrationen, Zusammenbruch des Marktes aufgrund von Quasi-Monopolbildungen etc.) denn nun vom „kapitalistischen System“ selbst, also ohne auf den Staat als „Regelungsfaktor“ ( durch Bereitstellung der rechtlichen Infrastruktur und anderer einschränkenden Rahmenbedingungen) zu rekurrieren – was übrigens auch das Smith’sche-Konzept beinhaltete – aufgehoben?
    Diese Frage beschäftigt vermutlich nicht nur mich am Ende des Artikels.
    Mit besten Grüßen W.S.

    PS.: Ohne mich jetzt zum „Fürsprecher“ Schumpeters machen zu wollen: Ich gehe ich davon aus, dass Ihnen die für die richtige Einordnung von Schumpeter nicht unwesentliche Differenzierung zwischen „Kapitalist“ und „Unternehmer“ wohlbekannt ist, auch wenn sie hier nicht explizit zur Sprache kam.

    • Hello Dr. Schrittwieser! Ich freue mich immer über Ihre intelligenten Kommentare.
      Zunächst; der rote Faden ist meine Polemik (wenn man so will) gegen die z.T. 2-dimensionale Kritik gegen große Denker; nicht immer – aber sehr oft – von Leuten, die ihre Werke nie komplett lasen, oder nicht im Kontext ihrer Geschichte verstanden. (Marx wurde ebenso kritisiert, der aber auch Ansprüche für sich vereinnahmte wie keiner der Klassiker. Außerdem teilte er auch aus, dass die Fetzen flogen).
      Zu Ihrer wichtigeren Frage: Schumpeter wiederholt eine von Marxs großen Vorhersagen, dass am Ende des Kapitalismus nur einziger gigantisches Mischkonzern übersteht, usw., usw. diese wie die meisten anderen Erwartungen blieben unerfüllt.
      Allerdings: Ein System welches zu Tode manipuliert und korrumpiert wird, wird sicherlich stets schwächer. Ein „sozialisierter“ Kapitalismus wird seine Nachteile deutlich zeigen. Sein Überleben per se, allerdings, wird von der Staatsform abhängen. Der Kapitalismus überlebt nur in einer Demokratie.
      Herzliche Grüße

  2. Danke für Ihre prompte Antwort, leider bleibt die obige Frage m.E. weiterhin offen. Vielleicht habe ich sie auch nicht konkret genug gestellt. Das, was am „Kapitalismus“ kritisiert wird, ist (unter anderem) das seinem Wesen innewohnende Bestreben, durch rücksichtslose Konkurrenz alle Mitbewerber aus dem Markt zu drängen, bis es letztlich keine Mitbewerber mehr gibt = d.h.: bis es auch keinen „Markt“ (konkurrierende Anbieter) mehr gibt. Damit führt sich das „kapitalistische System“ in letzter Konsequenz selbst ad absurdum. Jetzt nochmals zu meiner Frage: Wer oder was innerhalb des kapitalistischen Systems verhindert diese selbstzerstörerische Tendenz I h r e r Meinung nach? (Der Staat darf ja, weil man ihn als systemexterne Komponente betrachten muss, nicht eingreifen, sonst wäre es ja kein rein kapitalistisches System mehr.)
    Mit besten Grüßen
    W.S.

    • Guten Tag und Danke für diese wichtigen Vorgaben.
      Der Kapitalismus entwickelte sich aus den kulturellen und gesellschaftlichen Institutionen, als „default economic system“ des wirtschaftlichen und damit industriellen und wiederum des technologischen Fortschritts. Erst kapitalistische Strukturen ermöglich(t)en unsere produktive Weiterentwicklung. Das war schon den Bolschewisten (als erste praktische Anwender des Marxismus klar). Wir wissen, dass wir Wasser zum Leben brauchen und reinigen es so gründlich wie möglich – nur der reine Kaptalismus wird gefürchtet. Sicher (zum großen Teil) deswegen, weil seine Anfänge im frühen Merkantilismus liegen; der zunächst alleine den Herrschenden diente. Aber er führte auch zur Aufklärung, Befreiungskämpfen, Revolutionen und schließlich zur allgemeinen Emanzipation. Der reine Kapitalismus zerstört niemals seine eigenen Mitbewerber – Zerstörung des Kapitalismus bedeutet Kapitulation der Freiheit. Die Antwort ist in der Tat ein wirtschaftlich säkulärer Staat. Es müsste also eher heißen: Der total verstandene K a p i t a l i s m u s ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte. Damit bin ich hoffentlich den Antworten zu beide Ihrer Fragen nähergekommen.
      Herzliche Grüße.

  3. zur obigen frage:

    ———————–
    „Das, was am “Kapitalismus” kritisiert wird, ist (unter anderem) das seinem Wesen innewohnende Bestreben, durch rücksichtslose Konkurrenz alle Mitbewerber aus dem Markt zu drängen, bis es letztlich keine Mitbewerber mehr gibt = d.h.: bis es auch keinen “Markt” (konkurrierende Anbieter) mehr gibt. Damit führt sich das “kapitalistische System” in letzter Konsequenz selbst ad absurdum. Jetzt nochmals zu meiner Frage: Wer oder was innerhalb des kapitalistischen Systems verhindert diese selbstzerstörerische Tendenz I h r e r Meinung nach?“
    ————————

    vielleicht ein kleines praktisches beispiel:

    microsoft hat praktisch eine solche absolute monopolstellung auf seinem marktsegment innegehabt (und hat sie auch noch inne). durch die innovation junger engagierter programmierer kam mit der zeit aber eine immer bessere alternativsoftware auf den markt (betriebssystem, word etc). je mehr microsoft also dem verbraucher die gurgel zudrückt, desto attraktiver die innovation.

    ob die zerstörerische monopolisierung tatsächlich stattfindet, kann doch niemand mit gewissheit sagen. wenn man davon ausgeht, daß vielleicht 4000 superreiche die wirtschaftlichen geschicke der welt regeln (ich weiß nicht, ob die alten national(?)-ökonomen die globalisierung damals so berücksichtigt haben), so wird es lange dauern, bis ALLE macht weltweit in EINER hand ist. (oder in der hand weniger, die gemeinsam kooperieren).

    es sei denn, man geht davon aus, daß die 4000 ohnehin weitgehend konkruente interessen haben, die sie als gruppe gemeinsam handeln lässt (zb massenhafte einwanderung in eu).
    im kleinen marktbereich (zb opel / ford) gibt es dann ein wenig konkurrenz. in den großen linien sind sie sich aber einig. schon jetzt!

    das endergebnis dieses „selbstzerstörerischen“ mechanismuses des kapitalismus dürfte in ganz weiter zukunft liegen, wenn er überhaupt je eintritt. das viel größere aktuelle problem ist doch, daß diese 4000 die menschen weltweit viel früher verarmen lassen, lange BEVOR die systemselbstzerstörerische monopolisierung eine rolle spielt oder spielen kann.

    • Hallo Vitzli! Danke für Ihren Kommentar.
      Ja, so steht der Gesamteindruck. Mir liegt daran zu erkennen, dass wir hier nicht von einem echten Kapitalismus sprechen, sondern von „kapitalistischen Strukturen“ die seit Beginn in erster Linie dem Staat dien(t)en. In diesem Sinne – wie Ayn Rand überzeugend argumentierte – gibt es keine wirklichen Monopole ohne staatliche Intervention. Das ist auch in Ihrem Beispiel mit MS gut beschrieben. Was die Sozial-Aktivisten, mit ihren „Neo-“ hier, „neo-“ dort-Parolen, nicht sehen ist, dass mit jeder staatlichen Intervention zur Sozialisierung des Kapitalismus die Ungleichheit sich weiter manifestiert und ausweitet. Was bleiben wird, sind d i e kapitalistischen Strukturen, ohne die eine komplexe Volkswirtschaft und die staatliche Macht zerfallen würden. Der Zorn der „Gerechten“ sollte sich nicht gegen die Begünstigten richten, sondern gegen die Begünstiger.
      Herzliche Grüße

    • „das viel größere aktuelle problem ist doch, daß diese 4000 die menschen weltweit viel früher verarmen lassen, lange BEVOR die systemselbstzerstörerische monopolisierung eine rolle spielt oder spielen kann.“
      Vielleicht bewirkt die Verarmung der Menschen weltweit erst die Selbstzerstörung eines Monopols? Dann können die Konkurrenten nur noch innerhalb des Monopols gefunden werden und es zersplittert.

      • bertrandolf, danke für Ihren Beitrag.
        Es gibt ca. 1600 Milliardäre weltweit, rund 1/3 in Asien. Wollte man sie standrechtlich enteignen und die Vermögen auf 7.5 Milliarden Erdenbürger verteilen, bekäme jeder rd. 1.000 $. In einer wirklich freien Wirtschaft gäbe es keine Monoplole, aber es gibt schon erhebliche Unterschiede in den Wirtschaftssystemen und Gesellschaften um stets für genug Wettbewerb zu sorgen. Ich halte diese „Starchamber“ oder Bilderberger-Einflüsse für etwas überzeichnet. Mächtige wird es immer geben. Dazu kommen politische Spannungen, regionale Unruhen und andere Verzerrungen, die auch für diese Mächtigen nicht kontrollierbar sind; hoffe ich :-). Ich sehe diese Monsterbündnisse wie Nato, EU und UN Chartas am schädlichsten, weil sie Kulturen zerstören.
        Der Kapitalismus, in einer einigermaßen reinen Form, wie er nur kurz in den USA der Gründerzeit bestand, ist schon lange kaputt (ich schrieb darüber z.B. in „Feudal-Sozialismus vs. Kapitalismus“), aber ohne kapitalistische Strukturen wird es niemals gehen. Es liegt an uns, wieweit man den Menschen den Sozialismus verkaufen kann. Es wird stets Individuen geben die von einem System extrem profitieren – und extrem darunter leiden. Ich möchte dennoch eine Gesellschaft, in welcher der Talentierte und Tüchtige nicht vom Staat behindert oder gemolken wird.
        Anomalien sind Phänomene eines jeden natürlichen Seins. Es sind die Regulierungen, welche die gröbsten Wucherungen erzeugen und erzeugt haben, besonders seit der Zeit bevor WKI.

      • Was meinst du denn mit Regulierungen? Steuern und Sozialversicherungen denke ich rauslesen zu können. Aber gehören Gesetze wie HGB, BGB ProdhaftG, Lizenzen, Normen wie DIN, EN, ISO, usw… dazu?

      • bertrandolf, Staaten (sollten) regieren durch „Verwalten“; in den Beziehungen zweier mündiger Bürger, z.B., hat der Staat grundsätzlich keinen Platz. Es gibt viele Bereiche, wo der Bürger die Verantwortung dem Staat nahezu flehentlich aufdrängt, und welche in denen er sie sich einfach nimmt. Die gesamten Gesetze, die sich auf die „Fürsorgepflicht“ berufen sind eine ungeheuerliche Entmündigung (z.B. „Helmpflicht“), was er natürlich wieder mit dem Argument des „Allgemeinwohls“ begründed. Die Normenregelungen, z.B. haben uns auch nicht viel gebracht, da jeder, sogar in der EU seine eigenen hat. (Man feiert in der UN mit viel Pathos irgendwelche globalen abstrakten „Rechte“, die nie eingehalten werden, aber wenn Sie in ein paar Länder reisen, brauchen Sie immer noch ein kleines Köfferchen für die blöden Stecker.) Bürger und Fachleute, die mit einer Materie täglich zu tun haben, sind von Entscheidungen isoliert, die sie aber direkt betreffen. In der BRD arbeiten 20% für den Staat! Der Privatmensch schafft sich ab. Die EU verdoppelt den Schwachsinn. Es bräuchte zunächst eine neue Philosophie und eine Revolution um dies zu bremsen. Zur Umkehrung, warscheinlich ein Meteoriteneinschlag.

  4. „wie Ayn Rand überzeugend argumentierte – gibt es keine wirklichen Monopole ohne staatliche Intervention. “

    ein interessanter und für mich neuer gedanke, dem ich vielleicht mal nachgehen werde. zumal er den staatlichen antikartellbemühungen entgegenzustehen scheint. was natürlich nichts besagt (sondern, die akb. vielleicht ganau das gegenteil bewirken)

    auf den zweiten blick spricht tatsächlich einiges dafür. denn JEDER staatliche regulierungseingriff stört den freien ablauf der kräfte, die vielleicht nur etwas länger brauchen, um (positiv) zu wirken.

    auch MS wurde bekanntlich mehrfach gezwungen, bestimmte anwendungsprogramme anderer konkurrenten zuzulassen. mir erschien schon damals recht willkürlich, warum gerade diese programme und nicht andere etc.. vor allem erschien mir das völlig ungeeignet, die monopolstellung von ms überhaupt anzukratzen, es schien wie billige kosmetik. und welches (nicht formell gemeinte) recht oder rechtfertigung hätte der staat eigentlich, das monopol von ms überhaupt anzugreifen?

    vg
    vp.

    • Sie sind auf dem richtigen Weg. Gewollt oder nicht, Kartelle entstehen als Resultate staatlichen Nutzens. (Bill Gates warf das Handtuch, weil der Staat zuviel in MS eingriff, d.h. auf der anderen Seite, auch Kartelle abverlangte!)
      In einer freien Wirtschaft kann ein Monopol auf Dauer nicht funktionieren, ohne staatlichen Rückhalt (was ist einfacher: 5.000 Katzen vor einen Wagen zu spannen, oder 5 riesige Ochsen? F.D. Roosevelt). Wer hat die Großbanken geschaffen? Die einzigen unausweichlichen Monopole sind die Gewaltmonopole des Staates.

  5. zu:

    „Ich halte diese “Starchamber” oder Bilderberger-Einflüsse für etwas überzeichnet. Mächtige wird es immer geben. Dazu kommen politische Spannungen, regionale Unruhen und andere Verzerrungen, die auch für diese Mächtigen nicht kontrollierbar sind; hoffe ich“

    ich denke nicht, daß sich die wirklich mächtigen bei strategischen überlegungen für regionale unruhen und anderen kleinkram interessieren. die denken eher in kategorien wie: die EU ist gut für unsere geschäfte“ und fördern daher medial, finanziell und politisch die auflösung der nationalstaaten. oder sie kalkulieren, daß die destabilisierung der arabischen länder ihnen nützt und fördern das.

    da sitzt niemand am reißbrett und stimmt in bilderberger-salons die menüfolge im einzelnen ab. aber sie werden sich (schon fast instinktiv) über die wirklich großen „trends“ einig, insofern haben sie meist auch sehr übereinstimmende interessen, so daß wenig konkrete abstimmung erforderlich ist.

    „kleinkram“ wie der ukrainekonflikt sind auf der (nächst) untergeordneten ebene mit etwas mehr unkalkulierbaren ergebnissen behaftet, aber langfristig selbstverständlich beherrschbar, sollte dies überhaupt erforderlich sein.

    das kernproblem ist nach meiner auffassung, daß diese 4000 oder 1600 oder was auch immer die großen „trends“ bestimmen und in ihrem sinn beeinflussen und die einzelnen kleinen völker dem ziemlich machtlos gegenüberstehen (beispielsweise die europäischen völker werden bewusst aufgelöst, denn die 4000 wollen die EU und reden den einzelnen völkern ziemlich erfolgreich ein, daß die das auch wollen). für die menschen haben diese von dieser gruppe bestimmten trends aber ganz existenzielle bedeutung, ohne daß sie einfluss darauf haben. und: sie können diesen „trends“ zumindest auf mittlere bis lange sicht NICHTS entgegensetzen.

    ich benutze gerne das beispiel mit einem glas wasser. sie drehen es um, weil sie wollen, daß das wasser nach unten ausgeschüttet wird. wo die tropfen im einzelnen landen ist a) wurst und b) natürlich nicht beeinflussbar. aber das wesentliche wird erreicht.

    • Danke, Vitzli.
      In meiner 25-jährigen Tätigkeit für Regierungen (kleinere in Asien) habe ich (für mich selbst) ein Gespür entwickelt was auch durch Ehrfahrungen geprägt wurde (in Bescheidenheit!) Viele Dinge lassen sich durch Macht beeinflussen, andere nicht. Meine besondere Aufmerksamkeit gilt natürlich Indien & China. Auch Afrika und die Amerikas sind bedeutend, aber in ungleichem Maße. Liest man z.B. die Bilderb. Teilnehmerliste von 2011, erkennt man gerade 2(!) niedere Offizielle von China, obwohl Hauptthemen um diese Nation drehten. 150 Leute von 50 Nationen bequatschen über 13 Themen – die meisten davon könnten nichtmal eine Orgie in einem Puff veranstalten. 5 graue Eminenzen, die sich über ein Thema in einem Zelt in der Gobi treffen würden, wären sicher „gefährlicher“. Gesellschaftliche Änderungen gehen immer von wenigen aus (Kant, Marx, Col. House, die Beatles, Jean Shrimpton, Conchita Wurst 🙂 etc. Was ich sage ist: Wenn die Massen sich vernünftige Regierungen zulegen, müssten sich diese Mafioso anpassen – Beweise dass dies geht gibt es in der Geschichte. Aber ich setze meine paar wenigen Chips auch auf die allgemeine Dummheit.
      Nette Grüße

      • hallo alpha,

        danke für die prompte antwort.
        vorausschicken muss ich, daß ich von asiatischen verhältnissen keine ahnung habe, ich glaube aber auch nicht, daß es bei meiner idee darauf ankommt.
        soweit ich mich an eine bb-liste erinnere, waren da politiker und medienleute vertreten, aber keine wirklichen a-promis aus der viel-geld-kaste. letztere schicken natürlich ihre lakaien. bb-veranstaltungen laufen wohl eher unter dem motto: beauftragte instruieren (noch) unbeauftragte künftige beauftragte.
        auf „vernünftige“ regierungen werden wir wohl bis zum st. nimmerleinstag warten müssen. sowas dürfte es gar nicht geben. schon weil man 2 oder mehr große gegensätzliche interessengruppen schwerlich gerecht bedienen kann und zudem mE von oben (4000) grobsteuerung stattfindet.

        interessant finde ich den hinweis auf karl marx. der hinweis hat mich zu der überlegung inspiriert: hat ER wirklich die menschheit verändert? oder haben interessierte kreise ihn benutzt? (und ihm im zuge dessen zu „ruhm“ verholfen)? seitdem mir klargeworden ist, wer die bolschewistische revolution (enteignung der alten zaristischen schicht) bestimmt hat und bei wem letztlich die milliarden gelandet sind (oligarchen der besonderen art) könnte das auch auf ein bewusstes ausnutzen der ideen von km hinweisen, so daß die geschichte nicht als folge der idee von km, sondern als ausnutzung dessen idee anzusehen wäre. ein feiner qualitativer unterschied, wie ich meine 🙂

        herzliche grüße zurück
        vp.

        ps
        „Liest man z.B. die Bilderb. Teilnehmerliste von 2011, erkennt man gerade 2(!) niedere Offizielle von China, obwohl Hauptthemen um diese Nation drehten.“

        das widerspricht meiner ansicht nicht. im gegenteil. china dürfte ein ziemlich geschlossenes system sein, das von außen wenig steuerbar sein dürfte. also braucht es auch keine chinesischen BBler. trotzdem kann das land durch wirtschaftliche maßnahmen sicher beeinflusst werden (kredite, abkommen, investitionen etc), jedenfalls eher als durch direkte beeinflussing durch „beauftragte“. also fehlten die auf dem treffen.

      • Hi Vitzli. Danke für Ihre Replik. Dem Absatz über Marx kann ich voll zustimmen. Die meisten Ideen der Großen wurden/werden vom Geld ge-hijacked. Geld ist aber kaum jeweils selbst kreativ.
        China ist ein anderes Thema und müsste separat behandelt werden. Die chinesische Gesellschaft lässt sich nicht so leicht spalten. Indien dagegen ist ein Chaos und kann nur teilweise zentralen Interessen dienen. Gute (weil kurze und praktisch) Lektüre: http://www.amazon.com/Chindia-Alert-Youll-living-their/dp/1482063921/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1377176659&sr=1-1&keywords=chindia+alert und der Blog:http://chindia-alert.org/
        Gute Nacht!

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