DIE ERBEN VON KANAAN

In der Beurteilung des Kriegs zwischen Israel und Palästina, wird von beiden Seiten u.a. mit dem ursprünglichen Landbesitz argumentiert: Wem gehört heute rechtmäßig das alte Cana’an?

Wir haben uns bemüht einen realistischen Blick auf diese Frage zu werfen, wenn auch nur, um weniger emotionelle, dafür rationalere Diskussionen zu ermutigen.

Im sogenannten Völkerrecht suchen wir vergebens nach Lösungen – dieser Begriff ist nichts weiter, als ein leeres und widersinniges Wieselwort des westlichen Imperialismus. Rechtssysteme gelten nur innerhalb souveräner Staaten oder jeweiligen Kulturbereiche. Gerade deshalb gehört dieses ‚Recht‘ stets der stärksten Partei. Nach der weitläufigen Auffassung des „Völkerrechts“ sind sämtliche Nationen des Nahen Ostens auf widerrechtlicher Basis entstanden – das bringt uns nicht weiter.*]

Eine geschichtliche Beurteilung wird ebenfalls erschwert, wenn die Konfliktparteien sich nicht auf die Ursprungsperiode einigen können. Die unrechtmäßige Veräußerung Palästinas durch die Briten an die Zionisten in unserem 20. Jahrhundert ist ausser Frage und bleibt ein schwarzer Fleck (oder eher ein roter) auf der kolonialen Weste Englands.

Den Zionisten ging es immer nur um ihr – von Gott verheißene, ‚gelobtes Land‘, ihr biblisches Erbgut. Nun ist uns kein Beispiel aus der Jurisprudenz bekannt, wo Gott als vertragliche Rechtsperson anerkannt wäre. Betrachten wir die also einmal näher die historischen Verhältnisse.

[In der Folge beziehen sich alle Jahreszahlen auf die Zeit v. Chr., wenn nicht anders angegeben]

Das heutige Palästina war 3.300 von den Kanaanitern besiedelt und befand sich seit 15. Jhd. unter ägyptischer Herrschaft. In den Briefen von Abdschiba (Abdi-Heba), ein Oberhaupt in Jebus (Jerusalem), in der Amarna Periode (ca.1350) erscheint der Name der Chabiru (Habiru/Abiru), die mit den Hebräern („von jenseits des Jordans“) identifiziert werden können; diese waren ein wesentliches Element der Beduineninvasion, gegen die Pharao Sethos I. ca.1320-1300 kämpfen musste.

Die Siegestafeln des Pharao Merneptah um 1230, erwähnen erstmalig die Bezeichnung ‚Israel‘, jedoch für einen oder mehrere Nomadenstämme und kein ‚Volk‘. Die Inschrift in Theben listet die besiegten Parteien zusammen mit Israel, ansässig in Charu, dem südwestlichen Palästina.

Der gesamte Entstehungsmythos Israels ist keineswegs linear und selbst der Jahwe-Kult weist keine einheitliche Entwicklung auf. So sind besonders die Ursprünge größtenteils – und in wichtigen Bereichen – mit den Ergebnissen der Forschung unvereinbar. Schon Ende unseres 19. Jahrhunderts erschienen wissenschaftliche Arbeiten, deren Resultate die zionistischen Ansprüche und Forderungen als Unwahrheit und Propaganda blossstellt. In dem Werk ‚Die Israeliten und ihre Nachbarstämme‚ heisst es:

Dass Israel sonst in den ägyptischen Texten nie genannt wird, kann nicht Wunder nehmen; beruhen doch die in ihnen vorkommenden Erwähnungen palästinensischer Orte fast durchweg auf Zufall. Soviel geht allerdings daraus hervor, dass damals Israel noch in keiner Weise das herrschende Volk Palästinas oder eines Teils desselben war; für die Ägypter hatte es daher nur eine ganz untergeordnete Bedeutung, für sie waren die Städte und Stadtfürstentümer die Hauptsache, und diese waren nach wie vor in den Händen der alten (choritischen) Bevölkerung.“ An anderer Stelle:

Da nun das Volk erobernd in Kanaan eingedrungen ist, die Ahnen aber auch schon hier gelebt haben, müssen sie am Ende ihrer Geschichte erst wieder aus dem Lande herausgebracht, es muss ein Zwischenstück geschaffen werden, das anderswo spielt und es möglich macht, die inzwischen zu einem Volk gewachsenen Nachkommen in das Land ihrer Väter zurückzuführen. Zu diesem Zweck ist die Sage vom Aufenthalt in Ägypten und dem ‚Exodus‘ benutzt worden: als Bindeglied, welche die ursprünglich identische Geschichte der Ahnen und einem Volk Israel durch einen grossen Einschnitt zugleich voneinander scheidet und miteinander verbindet.“ Ägyptische Quellen wissen von einem AufenthaltIsraels im Niltal nichts.

Erst nach dem Ende der Ägypterherrschaft, Ausgang des 12. Jahrhunderts, beginnt eine wirklich geschichtliche Überlieferung der Israeliten, mit den Taten der Deborah (Deborah-Lied, Richter 5) und Gideons. In dieser Zeit tauchten die Philister auf. Nach den Israeliten regierten Assyrer, Babylonier, und Perser; danach Alexander der Grosse, Ptolemäer, Seleukiden, Römer, Byzantiner und verschiedene muslimischen Dynastien, die 691 auf dem Tempelberg in Jerusalem den Felsendom errichteten. Sunniten besiegten 1187 die Kreuzfahrer und eroberten Jerusalem. Mamluken beherrschten Palästina seit 1291. Osmanen besiegten 1516 die Mamluken und Palästina wurde bis 1917 in das Osmanische Reich eingegliedert.

Während ihrer Besatzungszeit im Lande Kanaan, gab es zahlreiche Königreiche und rivalisierende Herrschaftsgebiete unter den Israelitischen Stämmen. Nach einer anfänglichen Konsolidierung unter König David, löste Salomos Nachfolger Rehabeam die Abspaltung des israelischen Nordreichs von Judah aus. Der Einfall Assyriens beendete die Existenz des nördlichen Nationalstaats, 587 legten die Chaldäer Jerusalem in Schutt und Asche und verschleppten die Bevölkerung (Babylonische Gefangenschaft).

Bereits in der hellenistischen Epoche begann eine weitläufige Auswanderung der Kinder Israels als Diaspora in alle Teile Europas. Dort wurden sie Händler, die Phönizier und Philister wurden Kaufleute. Die Unabhängigkeit der verbleibenden judäischen Minderheit endete mit der Einnahme von Jerusalem 64 AD durch Pompeius.

Wer also sind die ‚rechtmäßigen‘ Völker Palästinas? Der reinen Jahresdauer nach, kommen für die Israeliten zwischen 900 (König David) und 587 (Babylon) maximal rund 300 Jahre einer regionalen Dominanz zusammen – innerhalb ihrer 3000-Jährigen Anwesenheit. Dies gilt umsomehr für alle Nomadenstämme und Araber, deren Vorfahren zwar keine Königreiche stellten, aber Palästina nie verliessen. Von den judäischen Siedlern, die um die Wende des 20. Jahrhunderts und danach einwanderten, haben die wenigsten davon mehr als einen Tropfen judäisches Blut.

*] Das sogenannte Völkerrecht erlaubt es der Großmacht USA, zu deren Vorteil, grenz-übergreifende Rechte und Sanktionen zu beschliessen. Da Gesetze immer nur innerhalb der Gesellschaft Gültigkeit besitzen die sie erlässt, ist auch die Institution eines „Internationalen Gerichtshofs“ naturgemäß eine rechtliche Perversion; ein Vorgriff auf die Globalisierung.


Quellen:
– Die Israeliten und ihre Nachbarstämme, Alttestamentliche Untersuchungen, Eduard Meyer, 1906
– Das Volk Israels, Kulturgeschichte, Bd. I, Friedrich v. Hellwald, 1896
– Who were the early Israelites and where did they come from?, William G. Dever, 2003
– A Line in the Sand, Britain, France and the struggle that shaped the Middle East, James Barr, 2011
– Our God is your God too, but he has choosen us, Essays on Jewish Power, Laurent Guyenot, 2020

7 Gedanken zu „DIE ERBEN VON KANAAN

  1. Gute Uebersicht. Ohne moderne Landwirtschaft war das gesamte Gebiet auch eher wertlos, so dass sich kaum jemand anstrengte da mal einen richtigen Staat zu gruenden. Auch im heutigen Israel sind die Juden nur dominant und es leben viele Araber, Moslems, Christen etc. dort.

    Die Briten haetten die Zionisten damals vielleicht von Nord-Dakota ueberzeugen sollen, was weniger Aerger eingebracht haette. 😉

    Land gehoert demjenigen, der es militaerisch erobert und militaerisch verteidigen kann. Russland hat seit Neuestem 4 annektierte Provinzen. Israel hat vielleicht bald einen grossen neuen Parkplatz fuer neue Strandhotels.

    Wenn es das Ziel der Zionisten war, ein fuer Juden sicheres Land zu gruenden, dann ist das bisher einigermassen schief gegangen. Den Zionisten in Israel gestehe ich das Recht zu, ihr erobertes Gebiet zu verteidigen – und das mussten sie ja seit der Staatsgruendung dauernd tun. Die Diaspora-Juden rund um die Welt sollen entweder die Fresse halten, oder dorthin umziehen und mitkaempfen.

    • Hallo!
      „Die Briten hätten die Zionisten damals vielleicht von Nord-Dakota überzeugen sollen, was weniger Ärger eingebracht hätte.“

      Sie boten ihnen Uganda an. Die meisten der Diaspora zog es Palästina vor, wurden aber vom Rabbinat überstimmt.

      „Land gehört demjenigen, der es militärisch erobert und … verteidigen kann.“

      Generell Zustimmung. Der Haken ist, dass nach den Weltkriegen von den Großmächten auf dem Papier Grenzen gezogen wurden in Gebieten, die für sie unhaltbar waren, und – wie im Falle Russlands – Abmachungen und Versprechen gebrochen wurden.

      „…Den Zionisten in Israel gestehe ich das Recht zu, ihr erobertes Gebiet zu verteidigen…“

      Nun, der Staat Israel wurde ja nicht von den Juden „erobert“, er wurde den Briten abgepressed, die den Siedlern Waffenhilfe gaben. Die Juden haben überall wo sie naturalisierte Mitbürger sind, das Recht sich zu verteidigen; aber wenn ein Einbrecher in eine Wohnung dringt, hat er dann das Recht sich gegen die Angriffe der Bewohner zu verteidigen? Ein anerkannter palästinensischer Staat würde da eine klarere Rechtslage schaffen, u.M.n.
      Diese Erneute Diskussion haben die Araber jetzt erreicht.

      • Wie sagt man: Im Krieg und der Liebe sind alle Mittel recht. Mit welchen Mittel erobert wurde ist im Nachhinein irrelevant.

        Nun, allen voran die Briten und der Rest des ‚Westens‘ erkennt den Staat Palaestina nicht an, auch wenn sie ihn in der UNO so halbwegs sich repraesentieren lassen. Das wird sich m.M. nicht aendern.

  2. PS: Ich bin mir ziemlich sicher, einem meiner Urahnen vor 50.000-100.000 Jahren gehoerte mal ein grosser Landstrich rund um die grossen afrikanischen Seen. Muss ich noch auf die bucket-Liste schreiben, das zurueck zu erobern 😀

  3. Gar nicht übel, der Text. Interessant wäre noch eine Chronologie der UN-Aktivitäten (Abstimmungen) zu Israel/Palästina. Immerhin klingt heute Siedlungspolitik besser als Annexion oder Landnahme, und wenn die unendliche Geschichte nicht so häßlich lautstark verliefe, böte sie guten Stoff für ein französisches Lustspiel à la Monsieur Claude und seine Töchter. Ich seh‘ schon den jüdischen Schwiegersohn verbündet mit arabischen und afrikanischen gegen den chinesischen 😉

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