Notizen aus dem Untergrund

Was bring eine Person dazu, zum Feind seiner Gesellschaft zu werden? Von einigen ‚Ungeheuern‘ der modernen Geschichte, haben wir genaue biographische Details über deren Entwicklung vom unauffälligen Normalbürger zum Psychopath. Besonders in den Strukturen autokratischer Regime existieren Individuen, die, Dank ihrer erschleimten Stellung, innerhalb ihres Umfelds ihre Herrschaftsphantasien ausleben.

Im Kommunismus gedieh dieser Menschentyp zu einem notwendigen Element für den Erhalt der jeweiligen Machtstruktur. Menschen ohne positive Fähigkeiten – aber miserablem Charakter und sozialer Gleichgültigkeit – wurden/werden von diktatorischen Systemen bewusst gefördert und herangezogen, als Waffe im gesellschaftlichen Arsenal des Apparats.

In freien, republikanischen Gesellschaften, deren demokratisches Wahlsystem noch weitgehend über die lokalen Institutionen und nationalen Regierungen bestimmt – mit überwiegender Meritokratie – verbleiben diese Misanthropen und Fieslinge weitgehend auf ihrer niedrigen Ebene. Aber, der vermehrte Einzug von Ideologie in die Politik, bedeutet den Übergang zur Herrschaft der Gleichgesinnten und der zu ihren Positionen Ernannten, mit dem Niveau der untersten Schublade.

Sie finden sich in Ämtern, grösseren privaten Organisationen, Banken, Konzerne, usw., kleine Entscheidungsträger, mit mehr oder weniger grossem Ermessensspielraum, der Ihnen ihre teuflischen Spielchen ermöglicht. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde erkennbar, dass es einer erstaunlichen Anzahl von Korinthenkackern und ‚geistigem Treibholz‘ gelungen ist, in höhere und wichtige politische Positionen gestellt zu werden.

Das Regieren mittels Verordnungen ausserhalb der Grundgesetze, die enorme Vergrößerung des Staatsapparates zur Umsetzung und Überwachung dieser Regelwerke, läuft in Hand mit der Beförderung von Personen bar jeglicher Attribute – ausser ihrer Knechtschaft zum System.

Fjodor Dostojewski öffnet seinem Leser einen Einblick in die Seele und Hirnfunktionen dieses sozialen Abschaums, in seinem genialen Werk „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“. Nietzsche war der erste Bewunderer der Novelle und bezeichnete sie als „ein wahrer Glücksgriff der Psychologie“.

Hauptfigur ist ein etwa 40-jähriger namenloser ehemaliger Beamter. Über seine Lebenssituation wird nur bekannt, dass er den Dienst quittierte und alleine in einer Kellerwohnung in St. Petersburg lebt. Der erste Teil besteht aus einer Niederschrift seiner Gedanken sowohl zur Gesellschaft, als auch zu seiner eigenen Person. Er beschreibt sich selbst als bösartig, verkommen und hässlich, aber hochgebildet; Hauptziel seiner polemischen Analysen ist der „moderne Mensch“ und die von ihm geschaffene Gesellschaft, die er bitter und zynisch kommentiert und gegen die er Aggressionen und Rachsucht aufbaut.

„…es kam so weit, daß ich einen heimlichen, anormalen, gemeinen Genuß empfand, wenn ich in einer der ekelhaftesten Petersburger Nächte in meinen Winkel zurückkehrte und dabei mit aller Deutlichkeit einsah, daß ich heute wieder eine Gemeinheit begangen hatte, daß das Getane auf keine Weise ungeschehen gemacht werden konnte, und mich dafür innerlich, verstohlen zu zerfleischen, zu foltern begann, so lange, bis die Verbitterung sich schließlich in irgendeine schmähliche, verfluchte Süße wandelte – in einen entschiedenen, wirklichen Genuß.“

In einem anderen klassischen Roman „Der Tempelbrand“, des Japaners Yukio Mishima, wird der Drang zur Zerstörung zur einzigen raison d’être des stotternden Mönches Mizoguchi. Diese Erzählung einer wahren Begebenheit, beschreibt den Werdegang und die Reflektionen eines asozialen jungen Mannes. Mizoguchis Hass gegen Schönheit, Perfektion und menschliche Werte, veranlassen ihn, eines der erhabensten Kulturdenkmäler Japans, den Goldenen Tempel in Kyoto in Brand zu stecken.*]

Einige der brutalsten Diktatoren der Neuzeit, Mao Tse-Tung, Stalin, Pol Pot sind aus ähnlichen Keimen erwachsen. Orientierungslos, unverstanden und ungesegnet mit konstruktiven Fähigkeiten, aber ausgestattet mit Kaltblütigkeit, Menschenverachtung und einem ausgesprochenen Talent für Lüge, Betrug, Manipulation und Brutalität, gelang ihnen der Aufstieg durch kriecherisches Andienen an revolutionäre Ideen.

Dabei kam es diesen Morons nicht einmal darauf an, für die theoretischen Ziele einer Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Gesellschaft zu kämpfen – wie man es vielleicht Lenin unterstellen könnte. Keiner von ihnen hatte die geistige Genialität eines Machiavelli, oder die kriegerischen Fähigkeiten eines Napoleon. Nein, es ging ihnen ausschliesslich um die persönliche Machterfüllung und Selbstverherrlichung, und mehr noch um die Freude an der Zerstörung alles Bestehenden und um sich am Schmerz der gepeinigten Opfer zu weiden.

Wie Sie sicher schon vermutet haben, nehmen wir die Gelegenheit, Vergleiche zu unseren westlichen Politikern zu ziehen. Die Frage, wie solche unbedarften Versager in ihre Positionen gelangten, haben wir schon in vorhergehenden Essays beantwortet. Wie sich diese Menschen allerdings selbst beurteilen – was ihnen entgegenblickt wenn sie in sich hineinschauen (vorausgesetzt sie finden dafür einen Anreiz), ist eine andere Frage. Dostojewski hat sie für uns mit seinem Werk rund 150 Jahre vorher weitgehend beantwortet.

Von unseren heutigen Politdarsteller*innen werden wir auf eine ehrliche Einsicht, kritische Selbsteinschätzung vergeblich warten. Dostojewski selbst fügte den Aufzeichnungen einen kurzen Kommentar bei, der darauf hinweist, dass Figuren und Handlung zwar erfunden seien, bei den Zuständen der zeitgenössischen Gesellschaft jedoch nicht nur möglich, sondern sogar unausbleiblich seien – und das vor 150 Jahren!

Was für uns alle aber noch bedenklicher sein sollte, ist die Kenntnis unserer eigenen tiefen dunklen Instinkte, die wie ein latenter Parasit in den meisten von uns schlummert. Wann, und ob wir ihn aktivieren, oder wie er sich unserer Seele bemächtigt – wer kann es wissen? Dostojewskis Held bringt es an den Tag:

„Überschütte ihn mit allen irdischen Segnungen, ertränke ihn in einem Meer des Glücks, sodass nichts als Blasen der Glückseligkeit an der Oberfläche zu sehen sind; Gib ihm Wohlstand, so dass er nichts anderes zu tun hat, als zu schlafen, Kuchen zu essen und sich um den Fortbestand seiner Spezies zu kümmern, und selbst dann würde der Mensch dir aus purer Undankbarkeit, purer Bosheit einen bösen Streich spielen. Er würde sogar seine Kuchen aufs Spiel setzen und absichtlich den verhängnisvollsten Blödsinn, die größte unökonomische Absurdität begehren, nur um in all diesen positiven gesunden Menschenverstand sein phantastisches Element einzubringen.“

„Je bewusster mir das Gute und alles „Erhabene und Schöne“ war, desto tiefer versank ich in meinem Sumpf und desto eher war ich bereit, ganz darin zu versinken. Aber das Wichtigste war, dass das alles bei mir sozusagen nicht zufällig war, sondern so, als ob es so sein müsste. Es war, als wäre es mein normalster Zustand und nicht die geringste Krankheit oder Verderbtheit, so dass schließlich in mir jeglicher Wunsch, gegen diese Verdorbenheit zu kämpfen, verschwand.“

*] https://huaxinghui.wordpress.com/2017/12/31/die-holle-der-vollkommenheit/